Tunesisches Familienleben in aller Fülle....Teil 3

 

Morgens noch in der Wüste, am späten Vormittag sind dann zurück in Sabria bei Jabers Familie und reisen dann über Kebilli und Wassims Familie am Spätnachmittag weiter nach Sidi Ali Ben Aoun, oberhalb von Gafsa zu Naimas Familie …

 

Es ist schon Abend. Das Lowage (Großraumtaxi) lässt uns an der Hauptstraße raus. Es ist dunkel. Wir sind alle ein bißchen verschlafen und überrascht.  Zu Naima ist es noch ein ganzes Stück Feldweg zu gehen. Doch da tauchen junge Männer auf Motorrädern auf.  Es sind die Söhne und Neffen von Naima und sie nehmen ein Teil des Gepäcks mit 🙏🏻

 

Bei Naima ist ihre älteste Tochter schon in der Küche am wirtschaften....es wird aufgetischt. Ich bin mir nicht sicher, ob die vielen Teller extra für uns sind. Sie hat noch eine 10 jährige Tochter und 2 ältere Söhne. Ihr ältere Tochter hat auch schon 2 kleinere Kinder. 

Wir werden mit leckerem Essen verwöhnt....außer Jaber essen alle Männer nach uns in der Küche, die Frauen und Kinder mit uns.

 

Es ist drinnen auch kalt. Die Decken werden vom Schrank geholt, dabei geht eine Schranktür auf und fast alles fällt raus, wir schaffen es im letzten Moment alles zurück in die tunesische Ordnung zu drücken.

 

Ich krieg nicht mit wie es anfängt, bei Kerstin zu kippen .... mit Jaber ... plötzlich ist alles zuviel, sie grenzt sich stark ab. Jabers Augen werden groß. Sie hadert....die Tränen kommen.....die ganze Familie nimmt gefühlsmäßig Anteil.

 

Ich schlag vor das sie Luft dran lässt, sie spricht deutsch, das ist einfacher, ich übersetzte. Ihr ist die Nähe mit ihm zuviel. Nicht das er ihr körperlich zu nah tritt. Die ganze Aufmerksamkeit ist ihr zuviel. Sie will nichts von ihm. Naima versteht nichts, nimmt sie in den Arm.

K. kann es annehmen. Ich mag das normalerweise in Redekreisen nicht, ich glaube ja das Emotionen zeigen und dafür die Verantwortung übernehmen reicht.  Jaber versteht es und das reicht auch. 

 

Tja, der Grad ist schmal. Seine Liebe und Fürsorge für alle ist schon besonders und für manch einen auch manchmal ein bißchen viel ;O)

 

Die Neffen und die Söhne schlagen später die Kanistertrommeln und an. Was für eine Power.

Meine Frauen sind fast alle entspannt, lassen sich ein, bringen sich ein, fast ohne Sprache. Mittlerweile gibt es schon einen kleinen arabischen Wortschatz bei vielen, für Unterhaltungen reicht es natürlich noch nicht, bei mir auch nicht. Es ist eine schöne Atmosphäre. 

 

 

F. will auch dabei sein, ihr Blick wird jedoch schon starr und sie fängt an sich zu kneifen. Ich deute, das sie sich zwingt, jedoch schon über ihren Punkt ist. Ich schlage ihr vor mit ihr schlafen zu gehen. Ich bin auch schon müde.

 

Wir haben oben auf dem Dach ein Bettenlager gebaut. Dort gibt es einen kleinen leeren Raum. Die Tür lassen wir offen. M. will draußen schlafen, die anderen freuen sich alle über mehr Windschutz.  

Mit ein bißchen Nachdruck bekomme ich F. zumindest vor die Haustür. Wir gehen zu den Tieren und sie beruhigt sich etwas. Sie will jedoch auf keinen Fall schlafen gehen und findet für sich eine Lösung sich zu beruhigen. Ich mag das nicht so, deute es als Ablenkung.  Sie schaut sich Trickfilme an. Es scheint ihr soweit zu helfen. 

 

Und es dauert auch nicht mehr lange, bis alle müde werden und wir uns auf unseren Hordenschlafplatz zurück ziehen. 

 

Und dann haben wir noch den ganzen Sonntag in der Familie. Als ich aufwache, sehe ich vom Dach oben, Kerstin vorm Haus sitzen und mit der Kleinen spielen. 

 

Auch Maria und Elisabeth spielen Ball mit den Kindern und Männern. Wie schön. 

 

Es gibt einen kleinen Toilettenstau....das Klo ist verstopft. Uii, das waren wir. Das Toilettenpapier darf nicht ins Klo! Ich gehe zum Pipi machen hinters Haus und die anderen auch ;O)

Zum Klosäubern gibt es eine interessante Konstruktion mit einer aufgeschnittenen Flasche. 

 

Kerstin und ich machen den Abwasch vom Abend. Das ist schon abenteuerlich. Es gibt kaum Ablageflächen, keine Handtücher. Naima kippt einiges ins Spülwasser..... wird schon helfen ;O)

 

Ich mache mit Naima Feuer in ihrer Hütte vorm Haus. Sie hat sie letztes Jahr selber gebaut, sie schützt vor Kälte und Wind. Dort backt sie in einer Eisenpfanne Fladenbrote. Ich genieße und komme so langsam an.

 

Wir machen heute langsam  ;O)....zum Beispiel einen Spaziergang über die Plantage. Als ich über die Kakteengrenze springe und mich die Bergen magisch anziehen, hadert Naima ....sie will gleich kochen...  ok, vielleicht später...ich springe zurück. 

 

Tja, sobald ich da bin, zieht es mich schon wieder umher. ;o)

F. auch. Ich will jedoch bei der Gruppe bleiben.

 

So schlendern wir wieder zurück....sitzten draußen in Sonne, entspannen, ich schnibbel mit K. Salat, Naima kocht Couscous. Heute ist auch der Bruder von Naima mit seiner Frau und Baby da. Sie hilf auch in der Küche. F. fährt mit Jaber auf der Forca in die nächste Stadt zum Kaffee trinken. 

Die ein oder andere legt sich zwischendurch mal oben aufs Lager. Und dann ist die Energie irgendwann wieder da, wir gehen nochmal raus, kochen und tanzen und die Jungs trommeln was das Zeug hält. 

 

 

 

Den Rückweg von Naima bis zum Flughafen in Tunis schaffen wir rechtzeitig. Ohne Jaber hätte ich mich das tatsächlich nicht getraut.

Jaber hat ein Lowage zu halb 6 telefonisch zur Hauptstraße bestellt. 

 

Wir haben 2x mal das Großraumtaxi gewechselt. In Kairawan haben wir mittlerweile schon Hunger und Kaffeedurst. Jaber springt raus und ist weg, er holt höchstwahrscheinlich das nächste Ticket, er sagt ja nichts, naja ich auch nicht. Ich renne mit F. los etwas Essbares aufzutun.

 

Wir beeilen uns, bei dem Druck den ich mir mache, vergesse ich meine Arabisch Brocken, aber es geht auch ohne, F. kann besonders gut bestellen was sie möchte...wir kaufen ein paar Wraps und Kaffee und Expresso. E. verzieht das Gesicht und will den Wrap aus hygienischen Gründen nicht essen. Ich bin überrascht.

 

Sie hat jahrelang für Terre des Hommes gearbeitet und viele Länder bereist, wobei immer sehr stark auf die Hygiene geschaut wurde: Cook it, peel it or leave it.

 

Sie hat es für diese Reise das erste mal komplett über den Haufen geworfen... in der Wüste....in den Familien. 

Und sie ist sehr überrascht, wie kontaktstiftend das ist. 

Und alle sind gesund.

 

 

 

 

Tunesien vom 30.12.2022 – 9.1.2023

„Wenn jemand eine Reise tut, so kann er was erzählen. Drum nähme ich den Stock und Hut und tät das Reisen wählen.“
Matthias Claudius (1740-1815)

Das innerliche Reisen wähle ich nun schon für eine geraume Zeit. Das äußere in dieser Form der Wüstenreise dazu zu nehmen, war für mich, rückwirkend betrachtet, ein Verlassen der Komfortzone und großer Sprung in mein Vertrauen und meine Selbstsicherheit.

Danke dafür.

Dass es ein Abenteuer wird, habe ich mir unbewusst wahrscheinlich gewünscht. 😊
Das meine 5 Mitreisenden das vielleicht auch gebucht haben und sich so unser universelles Abenteuer potenziert hat, war zwischenzeitlich mal meine Erklärung, wenn ich für mich eine brauchte. Und für jede/jeden stellte es sich anders dar. Das macht das Er-LEBEN so wunderbar.

Ich habe die Idee meine beiden Tage ohne Cordula aufzuschreiben und später dann in Anlehnung an Cordulas Blog weiterzuschreiben.

Durch die Unklarheit am Flughafen Tunis saßen wir schon mit dem Gepäck im  Flughafenvorraum und warteten auf Cordula und A.
Als klar wurde, dass die zwei nicht kommen und Jaber, den wir gerade kennen  gelernt hatten zur Eile antrieb und vorhatte mit uns noch ca. 3 Std. durch die Nacht zu einem Campingplatz zu fahren – es war mittlerweile nach 24h und wir alle waren müde und auch etwas von der Situation überfordert – stellte sich ziemlich schnell unter uns, die wir uns auch gerade erst kennen gelernt haben, eine Verbundenheit ein und wir beschlossen für die erste Nacht ein Hotel in Tunis zu nehmen. 

Für die zweite und dritte Nacht fuhren wir zu einem Campingplatz in den Wald.
Wir alle dachten, es geht schon mal Richtung Wüste und wir reduzieren so etwas die über 500km, die wir noch vor uns hatten. Doch dem war nicht so. Wir fuhren ca. 200km westwärts und die wollten auch wieder zurückgefahren werden.
Doch wie gut, dass wir das gemacht haben.
Dadurch, dass es wohl eine Facebook-Silvester-Veranstaltung war zu der Jaber wollte, war es kein ausgeschriebener Campingplatz und wir fuhren mit dem Lowage Stunde um Stunde und es wurde mal wieder dunkel, bis wir irgendwo im Nirgendwo ankamen.
Wir wurden an einem Waldzugang abgeholt und mit Taschenlampen bergauf zu einem kleinen See gebracht um den bereits ca. 50 Menschen meist Männern und nur wenige Frauen an ihren Feuerstellen beisammen saßen.
Wir bauten unsere Zelte auf und wurden von einer Gruppe eingeladen mit ihnen zu essen.
Es war köstlich und die Unterhaltung ging mit Händen, englisch, deutsch, arabisch, mimisch…
Nach dem Essen gingen alle an ihr Feuer zurück und sangen, tanzten, saßen, erzählten.
Silvester ohne Knallerei mit einem mondhellen und klaren Himmel und Sternen zu erleben war für mich fantastisch.
Während des ganzen Abends war immer mal von den verschiedenen Gruppen, die im ganzen Wald und um den See verstreut campten, ein Wolfsgeheul zu hören, das sich später zu einem Rede-Battle steigerte.
Wir waren bereits in unseren Zelten, als es draußen immer lauter wurde.
Jaber erklärte es am nächsten Morgen so – ich kann nur wiedergeben, wie ich es verstanden habe:
Es geht um einen verbalen Kampf, der zwischen Männern ausgefochten wird und der Sieger darf sich eine Frau aussuchen. Dies ebenfalls rein verbal.
Für mich im Zelt zu liegen und es immer lauter werden zu hören, war erst einmal befremdlich und machte mir Angst.
Doch hier entschied ich mich ins Vertrauen zu gehen und innerlich nochmal nachzufragen, ob ich Angst haben muss. Das Vertrauen in mir sagte NEIN und ich habe die Angst losgelassen.
Ich war mir sicher: ich bin, wir sind sicher.
Jaber hat es großartig aufgefangen, indem er in diesem Moment mit Präsenz und Stimme unseren 5er Kreis wieder zusammengebracht hat und jede einzelne von uns angesprochen hat mit: Kerstin, are you okay? Maria, are you okay? Elisabeth, are you okay? F., are you okay?

Später am Tag, es wurde schon wieder dunkel stieß Cordula dann dazu und feierten unser ZusammenSEIN mit Essen, Tanz und Feuer.

Das erste Mal draußen schlafen. Das Wildhundegebell, dass ich nachmittags bereits gehört hatte und wusste, dass sie scheu sind und nicht näherkommen, ließ mich ruhig bleiben.
Im Gegensatz zu der Nacht davor, waren nicht mehr viele Menschen im Wald, es war sehr still und die Hunde konnten sich ihre Umgebung wieder zurückerobern.

Das Schöne an der Gruppe ist, dass gemachte Pläne jederzeit wieder optimiert oder umgestellt werden konnten und so kam es, dass wir nun mit dem Zug von Tunis nach Gabes reisten, was wesentlich mehr Bewegungsfreiraum bot, als ein Lowage.
Wieder war ist es dunkel, als wir in Gabes die Unterkunft suchen und glücklich finden.

Am nächsten Tag reisen wir Richtung Sabria zu Jabers Familie und werden dort herzlich aufgenommen, bekommen in der Wartezeit zu Essen, die Hände mit Henna bemalt und wir lassen die Seele baumeln.
Es ist interessant Jaber zu beobachten, der nun verschiedene Rollen auskleidet.
Unser bisheriger Guide, Sohn einer Familie und nun Wüstenguide.
Es liegt eine gewisse Anspannung in der Luft und irgendwann geht es dann los.

Ich bin dabei, als Cordula fest stellt dass Ahmed mitkommt und höre, wie sie sich bei Jaber Luft macht.
Was ich zum Anlass nehme und feststelle: Das ist nicht meine Baustelle, ich habe hier keinen Anteil und kann das so lassen. Also entferne ich mich und lasse die beiden in ihrem Prozess.

Wie ich einige Situationen auf dieser Reise so lassen kann und ich sehr froh um dieses Erkennen bin, da ich das früher anders gemacht habe und es meist emotional mitgetragen habe, natürlich ohne zu fragen. 

Wie ich aber auch meine „Anforderungen“ zu meistern hatte und immer wieder neue Erkenntnisse hatte. Die, an denen ich alleine für mich knuspern konnte, waren relativ gut und einfach zu lösen.
Die, die an mich ran getragen wurde und die mich an meine Grenzen gebracht hat, war das Jaber immer mehr Andeutungen machte, dass ich doch eine „strong woman“ sei und ob ich denn verheiratet wäre.
Dies mit ja zu beantworten und ebenso zu sagen, dass ich 2 Kinder habe, ließ es aber nicht besser werden.
Ich merkte, wie ich mich damit beschäftigte, obwohl es nicht meins war und ich am liebsten durch Argumentation seine Ansichten oder sein Fühlen weg reden wollte. Warum? Wovor hatte ich Angst? Wo habe ich das früher auch gemacht? Menschen ihre Emotionen abnehmen oder wegnehmen zu wollen?
Was hat das mit mir zu tun?
Wieso bekomme ich kein klares Gefühl für mich hin und stehe dazu? Was ist schlimm an einem NEIN?

Ich fühlte mich eingeengt, ließ mich manchmal selbst nicht leben und fand das sooo doof.
Und woher kannte ich das Gefühl? Wo habe ich so etwas schon mal gefühlt?
Ich nahm mir meine Zeiten, meist beim Wüstenwandern mit Leonardo unserem super Kamel, das sehr aufmerksam und einfach nur wunderbar war. Mit ihm fühlte sich alles so bedingungslos an. Wir waren zwei Weggefährten.

Ich kam immer mehr zu der Erkenntnis, dass dies ein Grundsatzthema für mich ist. Und es hat diesmal nur das Gewand des „da möchte jemand etwas von mir, bzw. überschüttet mich mit dem seinem“. Auf einer sehr persönlichen Ebene.
Ansonsten begreife ich es wohl nicht, da ich sonst solche Situationen im Tagesgeschehen immer wieder zulasse.
Danke hierfür.

So richtig eng wurde es dann, als wir bei Naima in der Familie waren, denn Jaber überhäufte mich mit Geschenken und es fühlte sich nichts davon bedingungslos an und war eher klebrig.
Mein Kopf erfand Geschichten, die mir Angst machten. Auch hier wählte ich dann das Vertrauen und hatte die Kraft, als es mir zu viel wurde, mich abzugrenzen und war dankbar, dass mit Jaber und Cordula direkt zu klären.

Ich hatte es für mich geklärt, es fühlte sich aber noch komisch an, da diese Erfahrung neu für mich war.
UND: Es wurde immer besser.

Diese Geschichte, die, wie ich auch jetzt wieder merke, einen großen Raum in mir eingenommen hat ist jedoch nicht das Einzige, was ich wahrgenommen habe.

Denn wenn es mein „Drama“ zuließ, bzw. ich mich ließ, konnte ich diese wundervolle Gruppe so sehr genießen.
Das Mau-Mau spielen, das Yoga, das Umarmen und beisammen SEIN, das Baden unter uns Frauen, die Ruhe, die Weite und vor allem die Stille der Wüste.
Ich, die sonst auch immer viel rumwuselt, helfen will ….. konnte mich einfach mal hinsetzen und zugucken, nichts tun. WuWei das Tun im Nicht-Tun. 😊

Diese Reise war eine wunderbare Reise mehr hin zu mir, zu meinem Herz, eine Reise in die Herzverbindungen mit anderen Menschen und deren Gastfreundschaft.

Zutiefst berührt und dankbar blicke ich zurück auf die Zeit in der Wüste und in mir.

“In Lak’ech Ala K’in” – „Du bist Ich und Ich bin Du.“

Kerstin Vooes
31.1.2023

 

 

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Kommentare: 2
  • #1

    Annette (Samstag, 21 Januar 2023 15:30)

    Danke, liebe Cordula, daß du so viel geschrieben hast, auch viel Persönliches, wie es dir gegangen ist, was du gefühlt hast, weshalb du das eine oder andere getan hast
    Und fotografiert hast du bei dem ganzen Trubel auch noch. So können wir auch ein bisschen Teil haben an eurer aufregenden und abenteuerlichen Reise voller neuer Erfahrungen und Erlebnisse und Empfindungen. Und ihr alle seid sehr bereichert wieder nach Hause gekommen. Vielen Dank, daß ihr euch auf den Weg gemacht habt und uns davon erzählt.

  • #2

    Marianne (Mittwoch, 01 Februar 2023 16:08)

    Danke,das ich an euer persönliches Erleben mit großen Herausforderungen teilhaben darf.
    Ich kann es teilweise mitfühlen.